Der Konflikt entsteht im Kopf, die Lösung nicht

 

Wie oft haben wir schon über die Lösung eines Konflikts nachgedacht? Und wie selten auf diesem Weg eine tragbare Lösung gefunden? Wie oft haben wir in Workshops uns begeisternde oder berührende Techniken gelernt und sind dann im Konflikt wieder in unsere alten Muster, in unsere alten Schleifen zurückgefallen? Was auf der persönlichen Ebene gilt, gilt deutlich potenziert, weil komplexer und unpersönlicher, auch auf gemeinschaftlicher Ebene, zum Beispiel auf den Ebenen der Konflikte mit dem Gesetz oder von Konflikten zwischen Gruppen und Staaten. 

 

Ein Rahmen, in dem tragbare Lösungen ohne Nachdenken darüber entstehen können, sind Restorative Circles, die ich der Einfachheit halber Wandlungskreise nenne.

 

Von Uwe Pieper

 

Petra ist wütend, wütend auf das Sozialamt. Sie schreibt Texte, sie schreibt Lieder, in denen sie ihrer Wut Luft macht. Sie führt einen Kampf gegen Windmühlen. Andere finden ihre Wut berechtigt. Wie das Sozialamt mit ihr und anderen umgeht ist ungerecht, entwürdigend.

 

Sie interessiert sich für einen Wandlungskreis, weil sie nach einem Weg sucht, an dessen Ende das Sozialamt mit ihr angemessen umgeht.

 

In einem Vorgespräch hatte ich ihr deutlich gemacht, dass es in einem Wandlungskreis darum geht, dass sich Menschen pur begegnen, ohne Titel, ohne Funktion, ohne Rolle. Und dass ich erst einmal nicht wüsste, wie in so einem Kreis ein aus meiner Sicht strukturelles Thema bearbeitet werden könnte. Petra nimmt trotzdem an einem Workshop teil.

 

Es ist ein üblicher Workshop. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kennen sich untereinander nicht. Wir beginnen mit ein paar Minuten Stille und stimmen uns mit zwei Übungen ein, bei denen wir etwas voneinander erfahren, über unsere Konflikte.

 

In einer darauf folgenden Pause bereite ich den Raum für einen Wandlungskreis vor, unter anderem hänge ich alle Fragen, die im Kreis von mir gestellt werden, für alle gut sichtbar auf.

 

Nach der Pause stellt jemand seinen Konflikt zur Verfügung, möchte ihn in einem Wandlungskreis bearbeiten. In diesem Fall ist es Petra. Denn Petra hat auch heftige Konflikte mit einer ihrer Schwestern und ihrem Vater.

 

Sie wählt für ihre Schwestern, ihren Vater, und eine Freundin ohne nachzudenken, intuitiv Stellvertreterinnen und Stellvertreter aus. Für die Stellvertretung von ihrem Vater wählt sie eine Frau, die Erfahrung mit Stellvertretungen hat. Für eine Stellvertretung sind zwar keine Erfahrungen notwendig, sie erleichtern es gleichzeitig aus dem Kopf herauszukommen und alles auszusprechen was auftaucht, ohne Hemmung, ohne Schonung von jemandem.

 

Daran anschließend beginnt der Kreis, damit ein Dialogprozess. Als Begleiter spreche ich zunächst Petra an: "Was ist passiert, weswegen Du diesen Kreis einberufen hast, was hat das bei Dir bewirkt und wem möchtest Du das sagen?" Petra wendet sich als erstes an ihre Schwester. Dann sagt ihre Schwester was sie gehört hat. Das wird solange wiederholt, bis Petra sagt: Ja.

 

So geht es weiter, üblicherweise gefühlt oder tatsächlich eine längere Zeit, in der die alten  Schleifen gedreht werden, das bisher schon Gesagte nochmals gesagt wird, in denen der ganze Ärger, die ganze Wut, alle Vorwürfe Raum haben.

 

Abbildung 'Du bist Schuld'

 

Die erste Zeit wird in der Regel nahezu wörtlich das wiederholt, was die vorhergehende Person gesagt hat. Im Laufe der Zeit wird dann daraus das, was jemand wirklich hört. Im Laufe der Zeit kommt es bei dem einen oder anderen während des Wiederholens des vorher Gesagten und von ihm Gehörten zu einer kleinen Irritation. Und zu einem Zeitpunkt, den niemand vorhersehen kann, ändert sich die Atmosphäre im Kreis, immer mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden weicher, bis sie schließlich etwas anbieten oder um etwas bitten.

 

Abbildung 'Kreis'

 

Weder wie eine Stellvertretung noch wie ein Wandlungskreis funktioniert hätte auch ich mir vorher vorstellen können. Es kann einfach nur erlebt werden.

 

An irgendeinem Punkt im Wandlungskreis mit Petra sagt ihr Vater zu ihr: "Ich hätte lieber einen Sohn gehabt." Petra ist wie vor den Kopf geschlagen, weint. Es ist nicht möglich, den Kreis weiterzuführen, Petra braucht erst einmal Zeit um ihre Fassung wiederzugewinnen. Alle im Kreis Anwesenden geben ihr den Raum in dem sie das kann. Anschließend möchte sie es dabei belassen.

 

Auch so kann ein Wandlungskreises enden: In einem üblichen Kreis innerhalb eines Workshops oder einer Übungsgruppe, in dem nur die Person, die ihn einberufen hat, selbst anwesend ist, kann sie auf das Thema gestoßen werden, welches hinter dem Konflikt liegt, auf das eigentliche Thema.

 

Wer bereit ist dann weiterzugehen, sich dem dahinter liegenden Thema zuzuwenden, hat die Möglichkeit, das zum Beispiel in einer Familienaufstellung zu tun. Und genau das empfehle ich Petra anschließend.

 

Am Ende eines Workshops kommt dann auch der Kopf zu seinem Recht. Ich erläutere die Idee, die hinter diesem von Dominic Barter entwickelten Rahmen steht. Dazu gehört, worauf in unserer Gesellschaft im Konfliktfall der Fokus liegt und worum es im Gegensatz dazu in einem Wandlungskreis geht.

 

Doch was vor allem bleibt ist, dass sich in einem Wandlungskreis alle Beteiligten auf einen Weg begeben, dessen Ende sie nicht kennen, der sie zu Wut, Schmerz und Trauer führt, der aber letztlich über die Wahrheit, über eine wahrhaftige Verbindung zum Gegenüber heilen kann.

 

Da in einem Wandlungskreis alles im Raum bleibt, ist das verwendete Fallbeispiel in einigen Punkten abgewandelt.

Abbildung 'Du bist Schuld': Uwe Pieper, 2017

Abbildung 'Kreis': Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.V., Illustrator Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, 2013